Wir kennen ihn vom Radio, später vom Schweizer Fernsehen, heute von Blick TV: Reto Scherrer, der mediale Tausendsassa aus Weinfelden. Im Interview spricht der 46-jährige Familienvater aber auch über sein zweites berufliches Standbein als Leiter des familieneigenen Weinguts.
Reto Scherrer, im Lauf Ihrer 25-jährigen Medienkarriere haben Sie sich vom redseligen Spassvogel zum seriösen News-Moderator entwickelt. Keine Lust mehr auf Spässe?
„Es ist schon lustig, wie der Mensch immer wieder von seinen Gewohnheiten bestimmt wird. Hier bin ich und da bleibe ich. Der war schon immer so, also muss er so sein … – Als ich vor über einem Vierteljahrhundert meinen Fuss in die Medienlandschaft setzte, wollte ich beim Radio einfach nur reden. Reden und bei den Hörerinnen und Hörern echte Emotionen wecken. Radio ist für mich bis heute das magischste und zauberhafteste Medium, das jemals geschaffen wurde. Und trotzdem mache ich im Moment etwas anderes. Und wissen Sie wieso? Weil es mir Freude macht und Ringier eine grossartige Familie ist. Ob ich keine Lust mehr auf Spässe habe? Doch, aber es gibt keinen Grund, gleichzeitig redselig, lustig und seriös zu sein. Ich mag den Regen nicht weniger als die Sonne – und möchte im Leben weder auf das eine, noch auf das andere verzichten.“
Wo sehen Sie sich in fünf Jahren in der Medienwelt?
„Am 26. April 2019 moderierte Jonas Projer seine allerletzte ‚Arena‘-Sendung im Schweizer Fernsehen und wurde Blick TV-Chef. Ich moderierte an diesem Tag bei Radio SRF1 die Nachmittagssendung und führte dabei ein Interview mit Jonas über seinen letzten SRF-Auftritt. Wir kannten uns bis zu diesem Zeitpunkt nur sehr flüchtig. Er rief mich zehn Minuten nach unserem Interview an und fragte mich, ob ich nicht Lust auf das erste Digital-TV der Schweiz hätte. Ein paar Wochen später habe ich ihm zugesagt und meine Radio-Arbeit und die ‚Samschtig-Jass‘-Moderation aufgegeben. Ich kann Ihnen darum nicht sagen, was in fünf Jahren ist – und auch nicht, was morgen ist. Aber was ich Ihnen sagen kann: Ich bin ein sehr treuer Mensch!“
Welche Sendung – ob Radio oder TV – würden Sie gern einmal moderieren?
„Ich hatte immer das Glück zu moderieren, was mir gefällt. Mein einziger Fehler war vielleicht etwas zu machen, wohinter mein Herz nicht mit ganzer Leidenschaft stand. Das war zum Teil im ‚Samschtig-Jass‘ der Fall. Ich bereue es trotzdem nicht, denn es hat mir wieder neue Türen geöffnet. Ich glaube aber, es ist wichtig, sich immer wieder zu fragen, ob ich meine verbleibende Zeit so verbringen will, wie es jetzt ist – oder ob ich etwas ändern muss.“
Was hat Sie in der Corona-Zeit am meisten überrascht?
„Es war mir immer bewusst, dass der verwöhnte Mensch im reichsten Land der Welt nicht für Krisen gemacht ist. Wer in der Geschichte die Grausamkeiten von Kriegen, Hungersnöten oder Seuchen durchleuchtet, sieht schnell, dass wir Menschen bei Katastrophen nicht mehr rational, sondern vielfach nur noch emotional handeln. Und trotzdem ist es für mich erschreckend zu sehen, was eine Pandemie mit einer zivilisierten Bevölkerung anrichten kann.“
Gibt es auch etwas was Sie positiv überrascht hat in dieser schwierigen Zeit?
„Die älteren und alten Menschen in diesem Land. Ich hatte schon immer eine gute Beziehung zu alten Menschen. Sie stehen mir nahe. Vor der Pandemie war ich regelmässig in meiner Freizeit in Altersheimen, um die Geschichten von den Menschen zu hören, die etwas zu sagen haben. Sie sind es, die die Situation so annehmen wie sie ist. Ohne alles zu hinterfragen und aufzubegehren. Ich hörte viel von 18-jährigen Menschen den Satz ‚Sie stehlen uns die Jugend‘. Als Vater von drei Kindern verstehe ich das gut. Niemals hörte ich aber von einer 90 jährigen Person: ‚Sie stehlen mir mein letztes Jahr …‘ Es ist Respekt und Demut, die ich vor alten Menschen habe.“
Und was ist Ihre Hoffnung für die Zukunft?
„Mehr alte Menschen. Ganz ehrlich: Eine gute Flasche Wein. Ein paar Menschen, die mit mir die Flasche leer trinken. Und der Glaube daran, das alles gut wird.“
Apropos guter Wein: 2019 haben Sie die Leitung des historischen Weinguts Ihrer Familie in Weinfelden übernommen. Sie bewegen Sie sich zwischen dem Lärm der Medienwelt und der Stille im Rebberg. Was für ein Spagat!
„Das wäre ein schöner Spagat. Die einsame Stille im Rebberg beansprucht aber in erster Linie meinen Vater. Oder um es ehrlich auszudrücken: Er macht die wirklich harte Arbeit und ich den Weingeschmack. Ich glaube, wir sind ein gutes Team. Mein Vater hat sein ganzes Leben in unserem kleinen Rebberg verbracht, und wir hoffen alle, dass er das noch lange so machen kann. Ich bin stolz auf unseren eigenen Wein, der dank meinen drei Kindern hoffentlich irgendwann in die zehnte Generation übergehen wird. Schon schön, oder?“
Machen Sie an dieser Stelle doch ruhig mal in zwei, drei Sätzen Werbung für Ihre Weine.
„Wir haben schon heute zu wenig Flaschen. Eine bessere Werbung fällt mir nicht ein. Na gut, wer ein Stück vom Glück probieren möchte, kann sich auf 1762.ch informieren.“
Und welcher Wein Ihrer Mitbewerber im Thurgau beeindruckt Sie besonders?
„Der Wein in Weinfelden hat in den letzten Jahren einen gigantischen Höhenflug erlebt. Allein unser Weinfelder Weinweg gehört heute zu den meistbesuchten Tourismusattraktionen der Ostschweiz. Die zahlreichen Eigenkeltereien unserer Stadt beflügeln sich gegenseitig zu immer weiteren Höhenflügen und räumen einen Preis nach dem anderen ab. Was die verschiedenen Weinfelder Rebbauern heute an Wein kreieren, davon hätten unsere Grossväter nicht zu träumen gewagt. In diesem Punkt kommt uns die Klimaerwärmung tatsächlich für einmal entgegen. Die Frage ist nicht mehr: Welchen Wein trinken wir? Die Frage ist: Welcher Wein ist zurzeit noch erhältlich?“
Haben Sie ein Lebensmotto?
„Ich habe vor kurzem bei meinen Eltern im Gasthaus zur Rebe in Weinfelden ein Lineal aus meiner Schulzeit entdeckt. Eine Zeit, die für mich nicht wirklich erfolgreich war. Auf dem Lineal steht in meiner Schrift: «You can get it if you really want.» Also auf Deutsch: «Du kannst es bekommen, wenn du wirklich willst.»