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«Ich gebe mein ganzes Leben dafür her…!»

von Urs Tiefenauer

Der Regenwald liegt zwar ein paar tausend Kilometer von hier entfernt. Ein Hauch davon lässt sich allerdings auch in Sirnach erhaschen. In einem speziellen Gewächshaus hegen und pflegen Esther und Roland Amsler mit 6500 verschiedenen Orchideen eine der weltweit umfassendsten Sammlungen.

Orchideen, wohin das Auge reicht. Viele davon sind ganz unscheinbar und ihre Blüten erkennt man erst nach einem Hinweis von Roland Amsler. Sein Leben hat er zusammen mit seiner Frau ganz der Rettung aussterbender Orchideen gewidmet. 37’000 beschriebene Arten – das sind rund 15 Prozent aller blühenden Pflanzenarten – gibt es weltweit und rund ein Fünftel davon findet sich in Amslers Schweizer Orchideengarten in Sirnach, auf der einzigen Pflanzenbauzone der Schweiz. Dort können Besucherinnen und Besucher die Arten- und Farbenvielfalt bestaunen. In diesem einmaligen Ambiente bietet das Ehepaar Amsler Führungen, Vorträge und die Organisation privater Events nach Kundenwunsch an.  

Orchideen als Lebenswerk

Die eigentliche Heimat der Phalaenopsis, so der botanische Name, ist Asien, und zwar Süd-Thailand bis Neu-Guinea. Meist gedeihen sie dort auf hohen Bäumen unter lockerem Blätterdach. Sie wachsen dort sehr endemisch. Dafür gibt es ein gutes Beispiel aus Brasilien: Dort wurde eine Art entdeckt, die lediglich auf einem Baum wuchs. Diese Tatsache zeigt besonders auch die Zerbrechlichkeit des Systems. Wird der Baum gefällt und damit der notwendige Lebensraum vernichtet, so verschwindet damit auch diese Orchideenart. Deshalb ist die Abholzung des Urwaldes nach Amsler auch so tragisch für die grösste Pflanzenfamilie.

Ein weiteres Problem zeigt sich im internationalen Artenschutz. Der Import neu entdeckter Arten ist, wenn überhaupt möglich, mit einem immensen bürokratischen Aufwand verbunden. Doch genau das hindert den Orchideen-Experten nie. Denn seine Philosophie ist gleichzeitig sein Lebenswerk: Orchideen, die vom Aussterben bedroht sind, zu erhalten und zu vermehren.

Zu Ehren von Roland Amslers Schaffen in der Orchideenwelt wurde diese in seiner Sammlung entdeckte Orchidee als Acianthera amsleri benannt.

Social Networking

Diese Passion teilt er mit anderen Orchideenliebhabern rund um den Erdball. So ist er vernetzt mit Direktoren botanischer Gärten auf allen Kontinenten und mit Botanikern auf der Suche nach noch unentdeckten Trouvaillen. Hilfreich sind ihm dabei die sozialen Netzwerke. Damit kann er sich immer wieder neu vernetzen und mit Gleichgesinnten kommunizieren. «Und das Schöne am Ganzen: Ich kann mit einer Nachricht, dass ich zu einem bestimmten Datum ein Land bereisen werde, erreichen, dass mich jemand abholt, ich dort gratis Kost und Logis geniessen kann und wir anschliessend gar gemeinsam auf den Erkundungstrip gehen», so Roland Amsler.

Neu entdeckte Arten werden erforscht und anschliessend in einer von weltweit sechs erscheinenden botanischen Zeitschriften wissenschaftlich beschrieben. Erst dann gilt die Pflanze offiziell als neue Art. Auch für diese (unentgeltliche) Arbeit wird Roland Amsler gern beigezogen. Sein Wissen ist weltweit anerkannt und begehrt.

Auf Grossmutters Spuren

Schon in ganz jungen Jahren faszinierte es Roland Amsler, wie seine Grossmutter in freier Natur zielgerichtet nach Pflanzen Ausschau hielt und diese schliesslich gegen allerlei Beschwerden in der Familie einzusetzen wusste. Und bereits der erste Vortrag in der 4. Klasse widmete er dem Thema «Heilpflanzen in der Schweiz», worauf er, auch geprägt durch sein Wissen, spasseshalber den Beinamen Kräuterpfarrer Künzle erhielt, dies in Anlehnung an den bekannten St. Galler Pfarrer und Naturheilarzt Johann Künzle.

Seinem eigentlichen Berufswunsch folgend, einmal in einem botanischen Garten mit tropischen Pflanzen zu arbeiten, begann Roland Amsler nach der dritten Sekundarschule eine Ausbildung zum Topf- und Schnittblumengärtner. In seiner Freizeit zog es ihn zu Standorten in der Region Schaffhausen, wo er seltene Pflanzen vorzufinden glaubte, die in einer der wissenschaftlichen Zeitschriften beschrieben waren.

Diese elegante Orchidee Bulbophyllum freitagii aus Papua wurde von Roland Amsler beschrieben und benannt zu Ehren seines Gärtnerfreundes und Wegbegleiters Walter Freitag aus Herdern.

Der entscheidende Schritt

Im Hinterthurgau schliesslich fand der Naturmensch Amsler mit seiner jetzigen Frau Esther sein privates Glück. Beruflich arbeitete er als technischer Leiter im Kneipphof Dussnang. Dort durfte er auch einen Teil des Gewächshauses für seine Orchideenpassion mitbenützen. Im Gegenzug verzückte er mit seinen Orchideen im Eingangsbereich so manche Patienten und Besucher.

Im Jahr 2000 erfüllte er sich den Wunsch nach Selbständigkeit mit seiner Orchideen-Gärtnerei mit Eventraum am jetzigen Standort in Sirnach. Pilgerten im Durchschnitt rund 3500 bis 4000 Besucher jährlich in das Orchideenhaus in Sirnach, so machten die Folgen der Corona-Verordnungen auch den Amslers einen dicken Strich durch die Rechnung: An die 70 angemeldete Carfahrten wurden gestrichen.

Stete Pflege erforderlich

Bisweilen wird Roland Amsler angefragt, ob er Interesse an einer alten Sammlung Orchideen hätte. «Nur als Ganzes», gibt er zu, «und bis zum Schluss müssen die Pflanzen gepflegt worden sein. Wird eine Sammlung auch nur zwei Wochen etwas vernachlässigt, so ist die Hälfte aller Pflanzen nicht mehr zu retten.» Das erklärt auch den immensen Aufwand, den der Orchideen-Liebhaber neben dem reinen Erhalt und der Vermehrung betreibt: Täglich einmal, im Hochsommer zweimal, haben seine Pflanzen Durst und benötigen Wasser – die einen mehr, die anderen weniger.    

Auf seiner Entdeckungsreise durch Aceh, Nord-Sumatra, fotografiert Roland Amsler eine Epigeneium.

Pflegetipps für Orchideen

Die meisten Orchideen werden «ersäuft», weil sie im Wasser stehen. Je nach Wohnraum sind die Wasserbedürfnisse völlig unterschiedlich. Am besten wird der Topf eine Sekunde in handwarmes, kalkfreies Wasser getaucht, danach die Pflanze abtrocknen lassen. Diese Wassergaben wiederholen, erst wenn das Substrat im Topf trocken ist. Je nach Grösse und Zustand der Pflanze und Temperatur schwankt das zwischen 3 Tagen und 3 Wochen.

Um die Luftfeuchtigkeit zu erhöhen empfiehlt es sich, Blätter, Knospen und Luftwurzeln am besten abends mit einem Handzerstäuber mit Regen- oder kalkfreiem Wasser zu besprayen.

Bei der Wahl des Standorts dient folgende Faustregel:  Im Winter Süd-/Westfenster, im Frühling und Herbst Nord-/Ostfenster, im Sommer im Freien.

Und auch Orchideen sagen danke für etwas Nahrung in Form von Orchideendünger. Was die Pflanze gar nicht mag, ist ein Luftzug unter 14 Grad.  

zum Autor: Urs Tiefenauer ist Inhaber der Text- und Konzept-Werkstatt in Weinfelden

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